Spielbericht von Autonama
Die Dreifaltigkeit des Sprechens
Von Ronny Müller
Die Wissenschaft geht ja heutzutage davon aus, dass vor circa 70.000 Jahren mindestens acht verschiedene Arten aus der Gattung des Menschen existiert haben. Doch dann muss irgendetwas geschehen sein – Mutation hier, Selektion da –, dass eine dieser Arten durch eine Fähigkeit besonders bevorteilt wurde. Aber interessant, weil es war nicht die Muskelkraft, sondern das Sprachvermögen. Und nun sitzen wir homo sapiens hier also und lesen diese Texte oder schreiben jene Geschichten, aber die ganze Zeit: Arbeit an Sprache. Seit damals schwierig, einfach etwas hinzunehmen. Immer Gerüchte, Mythen, Bedeutung. Darum bis heute nach jedem kleinen Spiel, sagen wir mal Fußball, wieder viel Gerede. Aber da musst du wissen, dass dieses Sprachvermögen drei große Elemente ausmacht. Und glaubst du nicht, aber das wichtigste wohl: Klatsch und Tratsch. Weil in einer Gruppe früher wie heute nie verkehrt zu wissen, wer wen gerne mag, wer schnell laufen und wer nicht hören kann. Und Klatsch und Tratsch natürlich nach dem Spiel am allerwichtigsten. Besonders in einer Autoren-Mannschaft: Jochen “Jay-Jay“ Schmidt liest keine zeitgenössische Literatur, Leif “the reverse Snob“ Randt trägt Decathlon-Eigenmarken als neuartige Distinktion, Christoph “Edelfan“ Biermann geht lieber an den Nebentisch zur Unterhaltung, weiß aber vorher noch zu berichten, dass Christian Streich sehr ernsthaft Kim de l’Horizons Blutbuch verehrt.
Aber nun soll das zweite wichtige Element der Sprache überhaupt nicht unterschätzt werden. Die verbindende Kraft der Mythen und Erzählungen. Weil Mythos immer wichtig, um das Unerklärliche doch noch zu erklären. Zum Beispiel, dass die Autonama als lächerlich torarmer Absteiger der Vorsaison plötzlich Tore ohne Ende schießt. Nikita “the Orakel“ Afanasjew besingt daraufhin den Wunsch, überholen ohne einzuholen, indem wir dieses Jahr die meisten Tore erzielen, aber lieber nicht aufsteigen. So viel Dämpfe aus Erdspalten kannst du in Delphi kaum einatmen, wie nötig wären, um diese Saisonziele deinen Mitmenschen glaubhaft zu erklären. Aber so ist das mit der Sprache: Die will dich mit der Mitwelt fest verbinden. Und das klappt. Einmal ausgesprochen wird das Wort zum Sinn.
Dann glauben wir jetzt und zukünftig an die vielen Tore, und geschossen haben wir sie ja auch. Wobei das auch einfach war am Anfang, weil der Gegner war zwar Berlinomat aber kein Wahlomat. Denn ich hätte anders gewählt und nicht nur sechs Spieler aufs Feld aber dafür vier als Zuschauer hinters Tor gestellt. Wir also mit einem Spieler mehr auf dem Platz. Dem Platz mit dem Feldhockey-Kunstrasen ganz hinten auf dem Cantian. Umso sinnloser daher lange, hohe Bälle. Aber kannst du sprechen, wie du willst: Spielt doch wieder jeder drauf los, wie der erste freie Wildbeuter in der morgendlichen Savanne. Quasi Evolution komplett von vorne. Denn bald schon sprechende Kooperation mit Mitmensch und schon fallen Tore. Erst Afanasjew, dann zweimal Reißer (sic!), dann Marks. Es lohnen sich die vielen, flachen Pässe. Obwohl nun ein Konter mit viel Wucht zum Gegentor führt, setzt sich der Mythos wieder selbst ins Werk. Wenn der Mensch erst einmal seinen Glauben hat, dann baut er auch den ganzen Tempel. Darum ratzfatz weitere drei Tore zum sieben zu eins Pausenstand. Nun musst du wissen, interessant wie beide Mannschaften zur Pause alle gemeinsam ins Sprechen kommen, sogar mit Schiedsrichter. Denn drittes großes Element der Sprache – oben steht es ja schon – die Kooperation. Und wir als Menschen alle Brüder, darum die Idee: Wir geben euch einen Spieler, damit das eben menschlich bleibt. Doch da ist der Fußball wieder wie das echte Leben: Immer wenn du denkst, jetzt habe ich endlich eine Übersicht von all den Dingen, kommt natürlich etwas Neues. In diesem Fall: der sechste Feldspieler von Berlinomat. Mittlerweile wird es im Prenzlauer Berg so langsam düster und himmelsviolett und stürmisch, dass du denkst, so richtig kreatürlich alles. Vor allem, weil hinter dir Andreas “the Alpha-Man“ Merkel noch viel mehr Kooperation beschwört mit vielen lauten Worten, die da unter diesen Wolken entlangschmettern. Merkel ruft: Müller, keine Flanken mehr auf Marks. Macht der aber. Und funktioniert auch noch. Merkel ruft: Afanasjew, spiel raus auf rechts. Dreht Afanasjew sich aber um sich selbst und schießt mit links. Und funktioniert wieder. Merkel heiser, schüttelt den Kopf. Dass dann noch ein letzter Konter von Berlinomat mit Pike abgeschlossen zum zweiten Gegentor führt, ist egal, weil siehe neuer Saisonziel-Mythos. Für diesen Mythos fallen weitere Tore von Marks, der alle schwierigen Bälle erfolgreich unterbringt und etliche einfache irgendwie liegenlässt, und von Afanasjew, so dass am Ende ein elf zu zwei steht.
Die Wissenschaft geht heutzutage übrigens auch davon aus, dass vor etwa 12.000 Jahren auf einmal sehr, sehr viele Menschen anfingen, sich um ein paar korntragende Gräser zu kümmern. Die ganze Zeit plötzlich nur noch Sorge ums Getreide. Aber daran siehst du wieder: kleine Pflanze, große Wirkung. Weil bis heute Hauptteil der Ernährung. Und nun kommt die Sprache mit der Mythenbildung dazu, schon hörst du in der Empor-Kneipe: Das bisschen was wir essen, können wir auch trinken. Schon siehst du, wie Gerste und Weizen goldgelb in den Krügen schwappen. Und dann weißt du: alles nur erzählende Affen. Aber was für welche.
Für Friedemann “the Comeback-Man“ Karig
Aufstellung:
Merkel, Reißer, Wolf, Müller, Reinartz, Afanasjew, Marks, Körper-Claus